Publikationen
Für Patienten mit Rückenschmerzen
Dr. med. Bruno Baviera

 
Vorwort

Die Entwicklung der Wirbeltiere von den Fischen bis zum Menschen
Strukturen und Form der menschlichen Wirbelsäule
Die zentrale Funktion der Muskulatur im Haltesystem
Die Haltung ist erlernt
Die Bedeutung der Bauchmuskulatur
Wichtige physikalische Gesetze
Der Einfluss der Psyche auf die Haltung
Die Bedeutung der Arbeitsplatz- und Freizeitgestaltung
Hinweise für den Alltag

Nachwort

Impressum

 

 

Für Patienten mit Rückenschmerzen

Immer mehr Patienten fordern mit Recht, über ihre Krankheiten und die therapeutischen Möglichkeiten
informiert zu werden. In den letzten Jahren wurden die Ärzte vermehrt mit dem Problem der immer
wiederkehrenden Rückenschmerzen konfrontiert. Trotz vielseitigen Bemühungen konnten keine ein-
deutigen organischen Veränderungen als Ursachen gefunden werden. So drängte sich mit der Zeit
eine funktionelle Betrachtungsweise dieser Problematik auf, d.h. eine Betrachtungsweise, wie die
einzelnen Strukturen des Haltesystems zusammenwirken. Aufgrund solcher Überlegungen ergeben
sich Hinweise, wie man allenfalls solchen Rückenschmerzen vorbeugen kann.

Mit diesem Bericht wollen wir den Leser in einige Grundlagen - zum besseren Verständnis der
menschlichen Haltung - einführen.

Diese Grundlagen sollen im Alltag helfen, sich den Anforderungen des Haltesystems entsprechend -
und somit rückenschonend - zu verhalten.

Wir wollen Ihnen keine Rezepte vermitteln, sondern Anleitungen, mit deren Hilfe Sie sich Ihren
Möglichkeiten entsprechend rückenschonend verhalten können.

   
 

Die Entwicklung der Wirbeltiere von den Fischen bis zum Menschen

Durch die Auftriebskraft des Wassers muss die Wirbelsäule der Fische keine Tragarbeit leisten. Auf dem Land lebende Wirbeltiere müssen ihr Körpergewicht selbst tragen. Die Vierfüssler können ihr Gewicht auf vier Beine abstützen und stehen recht stabil. Ihre Unterstützungsfläche ist ja groß, und ihr Körperschwerpunkt liegt relativ tief. Interessant ist die Entwicklung vom Vierfüssler zum Zweifüssler, d.h. zum Menschen. Die Aufrichtung erfolgte durch eine Umkehrung der leicht keil-
förmigen untersten Wirbelsäulenteile ( Bandscheiben und Wirbelkörper ). Das Kreuzbein, d.h. der unterste Wirbelsäulenknochen, bildet einen etwa 45-Grad-Winkel gegenüber der Horizontalen. Dadurch droht die darüberstehende Wirbelsäule immer nach vorne und unten abzugleiten. Das
Abgleiten wird durch Gelenke und Bänder verhindert.

*
Diese Entwicklung hat für uns Konsequenzen
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Wir müssen unser Körpergewicht selbst tragen.
*
Wir stehen auf 2 Füßen labil.
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Die Basis unserer Wirbelsäule ist schräg.
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Durch eine Beckenaufrichtung kann die schräge Neigung des Kreuzbeines verringert werden.
*
Durch eine Beckenkippung kann die schräge Neigung des Kreuzbeines vergrössert werden.

 

 
 

   

Strukturen und Form der menschlichen Wirbelsäule

Einerseits soll unsere Wirbelsäule helfen, unser Gewicht zu tragen, und andererseits muss sie ein
gewisses Bewegungsausmaß zulassen. Dieser Widerspruch - Stabilität gegenüber Beweglichkeit
wurde durch eine Schichtbauweise gelöst. Bewegliche und federnde Bandscheiben wechseln mit
stabilen Wirbelkörpern. Die Bewegungen werden durch die hintenliegenden Wirbelgelenke und durch
straffe Bänder geführt. Die Wirbelkörper bestehen aus einem knöchernen Kern und einem sich hinten
anschliessenden Bogen. In diesem Bogen verläuft das Rückenmark, eine wichtige Nervenverbindung
zwischen den Nervensträngen in der Körperperipherie und dem Gehirn. Dem knöchernen Bogen
entspringen Knochenfortsätze, an denen die Rückenmuskulatur ansetzt.

Die Bandscheiben bestehen aus einem faserigen straffen Gewebe, in dessen Mitte sich ein gallert-
artiger, zähflüssiger Kern befindet. Dieser Kern kann sich bei einer asymmetrischen Belastung nach vorne oder nach hinten verschieben. Bei einer plötzlichen oder übermässigen asymmetrischen Belastung kann das faserige, den Kern umgebende Gewebe einreissen, und der gallertartige Kern
kann das umliegende Gewebe irritieren. Die Wirbelsäule ist leicht doppelt-S-förmig geschwungen.
So sind alle Teilkörperschwerpunkte auf einer Linie. In dieser idealen Position muss die Muskulatur
nur geringe Kräfte für die Haltung entwickeln. Abweichungen von dieser Idealhaltung führen zu einer vermehrten Belastung der Muskulatur, der Bandscheiben sowie der die Wirbelsäule umgebenden und zusammenhaltenden Bänder. Die nach hinten ausweichende Krümmung der Brustwirbelsäule ist notwendig für die Bildung des Brustraumes, der für die Atmung wichtig ist. Um die Teilkörpergewichte wieder ins Lot zu bringen, muss sich unterhalb der Brustwirbelsäule eine nach vorne gerichtete Krümmung anschließen.

Um den Blick gerade nach vorne ausrichten zu können, ohne daß große muskuläre Kräfte eingesetzt werden, muss der Kopf frei auf der Brustwirbelsäule balancieren können. Aus diesem Grund weist die Halswirbelsäule eine leichte Krümmung nach vorne auf.

Die Wirbelsäule besteht aus Wirbelkörpern, Bandscheiben, Wirbelgelenken, Bändern und Muskulatur.

Die doppel-S-förmig geschwungene Wirbelsäulenform ermöglicht eine aufrechte Haltung mit minimaler Muskelkraft und Schonung der an ihrem Aufbau beteiligten Elemente.

 

   
 

Die zentrale Funktion der Muskulatur im Haltesystem

Unsere aufrechte Haltung wird durch eine aktive Leistung der Muskulatur garantiert. Die Muskulatur
besteht aus vielen einzelnen Muskelfasern, die durch Nervenimpulse aktiviert werden. Diese Nerven-
impulse entstehen in speziellen motorischen Nervenzellen im Rückenmark. Vom Gehirn, von den
Gelenken, der Muskulatur und der Haut verlaufen Nervenfasern zu diesen motorischen Nervenzellen.
Erst wenn viele Impulse aus diesen Gebieten die motorischen Nervenzellen erregen, werden sie
aktiv, und erst dann können sie die Muskulatur zur Arbeit anregen.

Muskelfasern, die über eine längere Zeit arbeiten, ermüden und lassen in ihrer Kraftentwicklung
nach. Deshalb ist es wichtig, dass viele aktivierbare Muskelfasern nacheinander Kraft entwickeln
können. Wir müssen uns ja immer während Stunden gegen die Schwerkraft halten. Genügend
Muskelfasern können aber nur erregt werden, wenn wir durch genügend Impulse aus dem Gehirn,
den Gelenken, der Muskulatur und der Haut die motorischen Nervenzellen erregen !
Dass heisst, nur durch den aktiven Einsatz, durch den Gebrauch des gesamten Körpers, werden
wir genügend Impulse erzeugen können. So können viele Muskelfasern abwechslungsweise
arbeiten, und es tritt keine Ermüdung ein. Ein Ausdauertraining hilft somit, die Wirbelsäule aktiv
in ihrer korrekten Form zu halten. Dadurch wird aber die Belastung der Wirbelsäulenstrukturen
wie die Bänder, die Wirbelsäulengelenke, die Muskelansätze und die Bandscheiben vermindert.

   
 

Die Haltung ist erlernt

Als Kleinkind lernen wir mühsam das Stehen und Gehen. Jeder Mensch setzt sich individuell mit
seiner Umwelt auseinander und gestaltet so auch seine für ihn ganz spezielle Haltung. Nur, nicht jede Haltung belastet das Haltesystem optimal. Gewohnheitsmäßige Fehlhaltungen überfordern die Leistungsfähigkeit der Muskulatur, der Bandscheiben, der Bänder und weiterer Teile des Haltesystemes. Durch eine korrekte Anleitung ist eine Haltungskorrektur jedoch möglich.Doch müssen diese neu erlernten Verhaltensmaßnahmen konsequent im Alltag eingehalten, eingeübt und so auch wieder automatisiert werden. Eine korrekte Haltung ist auch im Erwachsenenalter wieder neu erlernbar.

   
 

Die Bedeutung der Bauchmuskulatur

Unser Körper verfügt über zwei Tragesysteme :

* die Wirbelsäule

* die Bauchblase

Die Belastung der Wirbelsäule nimmt ab, wenn das Gewicht der inneren Organe durch das Becken
getragen wird. Durch eine genügend arbeitende Bauchmuskulatur wird der Bauchinhalt über dem
Becken gehalten und durch dieses getragen. So kann die Wirbelsäule entlastet werden. Durch die
meistens sitzende Arbeitsweise wird die Bauchmuskulatur nach aussen gepresst und verliert ihre
Haltefunktion. Das führt zu einer vermehrten Wirbelsäulenbelastung und kann die Ursache von
Rückenbeschwerden sein.

 

 

 
 

   
 

Wichtige physikalische Gesetze

Druck

Die Schwerkraft und die Muskelkräfte wirken auf die Gelenk- und Bandscheibenflächen der Wirbel-
körper. Dadurch entsteht ein Druck in diesem Gewebe. Bei asymmetrischer Belastung entstehen
ungleichmässige Druckkräfte, die zu Schmerzen und Veränderungen an Knochen- und Weichteil-
geweben führen können.

Drehmomente

Fehlhaltungen - z.B. vornübergeneigte Arbeitshaltungen, einseitiges Tragen, falsches Sitzen, etc.-
bewirken Drehmomente, d.h., Kräfte wirken an Hebelarmen. Eine Verkürzung der Hebel durch eine
korrekte Haltung verhindert Drehmomente und dadurch eine Überlastung der Wirbelsäule.

Federung

Das Gehen auf harten Böden und das Tragen von ungeeignetem Schuhwerk (mit harten Sohlen)
bewirkt Schläge auf die Wirbelsäule. Das kann durch das Tragen von Schuhen mit weichen Absätzen oder das Gehen auf möglichst weichen Böden vermieden werden.

 

 
 

   
 

Der Einfluss der Psyche auf die Haltung

Unsere Stimmungslage drückt sich auch in unserer Haltung aus! Wer traurig seinen Kopf hängen läßt oder gestresst seinen Kopf nach vorne zieht, belastet das Haltesystem übermässig. Eine bewegungsarme, nur noch im Sitzen realisierte Lebensweise belastet immer nur die gleichen Wirbelsäulenstrukturen, und dadurch werden diese überlastet und können zu Schmerzen führen. Oft hilft nur das Erkennen und Überdenken sowie Verändern der momentanen Situation, zum Beispiel bei der Arbeit oder in den Beziehungen, um Rückenprobleme grundlegend zu beeinflussen.

   
 

Die Bedeutung der Arbeitsplatz- und Freizeitgestaltung

Immer mehr schränken die Anforderungen des Arbeitsplatzes sowie ein immer weiter expandierendes
Televisionsangebot das Bewegungsverhalten des modernen Menschen ein. Die für alle Gewebe des
Bewegungsapparates so wichtige dynamische Belastung fehlt. Monotone Belastungen im Stehen oder im Sitzen führen zu Schädigungen und Beschwerden im Haltesystem. Ein korrektes Arbeits- und Freizeitverhalten ist deshalb das zentrale Ziel eines rückenschonenden Verhaltens. Wichtig ist vor allem, daß jede längerdauernde Stellung immer wieder unterbrochen wird. Mit einfachen Tricks können Sie auch ungeeignete Sitzmöbel für Ihre Anforderungen verbessern.

Nutzen Sie die sich ergebenden Arbeitspausen und allenfalls auch die Freizeit für die Unterbrechung
Ihrer monotonen Haltung und wenn möglich für mehr Bewegung.

   
 

Hinweise für den Alltag

Aufgrund der besprochenen Zusammenhänge ergibt sich für den Alltag eine Vielzahl von Möglichkeiten,
sich rückenschonender zu verhalten. In der Folge zeigen wir Ihnen einige Beispiele, die Ihnen helfen,
Ihren eigenen Weg zu finden:

Vermeiden Sie länger gleichbleibende Positionen, führen Sie in regelmäßigen Abständen
Entlastungsbewegungen durch.

Suchen Sie nach anderen Arbeitshaltungen und -techniken.

 
 

 

   
 
 

 

 

Unterbrechen Sie das Sitzen durch gelegentliches Aufstehen, zum Beispiel beim Telefonieren.

Gehen Sie immer wieder kurze Strecken.

Tragen Sie Schuhe mit weichen Absätzen.

Vermeiden Sie eine Auskühlung der Muskulatur durch eine angepasste Kleidung.

Führen Sie gymnastische Übungen immer langsam durch, ohne Kraftanstrengung und ohne Wippen.

Benutzen Sie Treppen und nicht den Lift.

   
 
 

 

 

Beachten Sie eine aktive Sitzhaltung, benutzen Sie Sitzhilfen ( Keilkissen oder Lendenrolle).

Setzen Sie sich auf einen Gymnastikball im Wechsel mit Ihrem Arbeitsstuhl. Die Lehne Ihres
Arbeitsstuhles sollte die Krümmung Ihrer Lendenwirbelsäule unterstützen.

Achten Sie auf eine gerade Wirbelsäule im Liegen ( keine zu weiche Matratze, Kissenunterlagen).

 
 

 

 
 

 

 

Führen Sie die Muskeldehnungsübungen regelmäßig durch.

Belasten Sie Ihre Wirbelsäule symmetrisch, indem Sie anstelle von einer Tasche zwei benutzen oder Lasten auf dem Rücken tragen.

Gehen Sie Mittags spazieren.

Beachten Sie eine korrekte Hebetechnik.

Fragen Sie Ihren Arzt nach weiteren Verhaltensregeln.

 
 

   
 

Nachwort

Wir hoffen, daß diese Grundlagen und Anweisungen Ihnen helfen, Ihr Bewegungsverhalten etwas zu verändern. Denken Sie daran, daß Ihre Mithilfe am therapeutischen Geschehen die durch den Arzt verordnete medikamentöse Therapie und Physiotherapie ganz wesentlich ergänzt.

 

Impressum

Text und Idee: Dr.med.Bruno Baviera, Chefarzt, Schule für Physiotherapie Aargau,
CH-5116 Schinznach-Bad, Tel.: 056 43 32 73

Physiotherapeutische Beratung : Barbara Wiggers-Müller

Realisation: Thomas Mohler

Redaktion: Ruedi Ott