Osteoporose
Teil 1(Gymness 3.Jahrgang/ 1/98)
Dr. med. Bruno Baviera
Das Problem
Mit der zunehmenden Altersstruktur der Bevölkerung werden Erkrankungen manifest, die früher weniger Bedeutung hatten. Nach Schätzungen sind 20 Prozent der Frauen ab dem 50. Lebensjahr osteoporosegefährdet. Ab dem 70. Lebensjahr steigt die Wahrscheinlichkeit für Frauen, an einer Osteoporose zu erkranken, auf 60 Prozent an. Für Männer beträgt das Risiko ab dem 50. Lebensjahr etwa 3 Prozent, ab dem 70. Lebensjahr 20 Prozent. Meistens bemerken wir die Folgen des kontinuierlichen Verlustes an Knochenmasse nicht, bis eine Fraktur auftritt. Das gehäufte Lebenszeitrisiko für 50jährige Frauen beträgt etwa 18 Prozent für eine proximale Femurfraktur, 16 Prozent für eine eindeutige Wirbelkörperfraktur und 16 Prozent für eine Unterarmfraktur. Das gesamte Risiko, eine Fraktur zu erleiden, beträgt etwa 40 Prozent.
Das bedeutet, dass vier von zehn Frauen bis zu ihrem Lebensende eine oder mehrere Frakturen wegen der Osteoporose erleiden werden. Gewisse orthopädische Kliniken werden mit über 20 Prozent Osteoporosepatientinnen belegt. Das Risiko, an den Folgen zu sterben, beträgt im höheren Alter bis zu 20 Prozent.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Osteoporose häufig auftritt, einen hohen Leidensdruck verursacht und zum vorzeitigen Sterben führen kann sowie gewaltige Kosten im Gesundheitswesen verursacht.
Was ist Osteoporose ?
Die Osteoporose wurde von Anon 1993 folgendermassen definiert: "Systemische Erkrankung des Skelettsystems mit einer Verringerung der Knochenmasse und einer Veränderung der Microarchitektur des Knochengewebes sowie einer davon folgenden Erhöhung der Knochenbrüchigkeit und Zunahme des Frakturrisikos". Die Osteoporose ist eine Stoffwechselerkrankung des Knochens, die vor allem zu einem Verlust der Knochensubstanz führt und dadurch zu einer Abnahme der Knochenfestigkeit. Da der Knochen ein lebendes Gewebe mit ständigen Auf- und Abbauprozessen ist, bedeutet eine Dysbalance zu Ungunsten der Aufbauprozesse einen Verlust an Belastbarkeit. Bei der Osteoporose sind die Knochenabbauzellen gegenüber der Norm um das Dreifache erhöht. Zudem ist auch die Effizienz der knochenbildenden Zellen bei Osteoporosepatienten geringer als bei gesunden Menschen.
Bei vor allem in der Jugend wenig belastetem Knochen ergibt sich eine weniger gute Ausgangslage, denn hier führen bereits normale Abbauprozesse im Alter zu einer das Frakturrisiko erhöhenden Situation. Wie alle Gewebe unseres Körpers zeigt auch der Knochen ein adaptives Verhalten bezüglich der an ihn gestellten Belastung. Auch im Alter kann ein angepasstes Belastungstraining in einem gewissen Rahmen die Knochenqualität positiv beeinflussen.
Gesunder Knochen Osteoporotischer Knochen
Endzündliche Prozesse können über nervöse Wege wie auch eine längere Immobilisation, zum Beispiel durch einen Gipsverband, zu einer erheblichen lokalen Osteoporose führen. Die Güte der Knochen ist von vielen Faktoren abhängig, die in der Jugend eher prophylaktisch und im Alter eher reaktiv beeinflusst werden können. Wir stehen der Osteporose also nicht ganz hilflos, schicksalhaft gegenüber!
Faktoren der Knochenbildung
Das Knochengewebe besteht aus zugfesten Eiweissfasern, dem Knochenkollagen, und druckfesten Kochsalzen, den Hydoxylapatitkristallen. Diese Strukturelemente werden von Zellen beeinflusst, d.h., gebildet und abgebaut. Der Knochen enthält drei Zelltypen. Die Osteoblasten sind für die Kollagensynthese verantwortlich. Dazu enthalten sie die genetische Information in ihren Zellkernen. Sie beeinflussen mit ihren Syntheseprodukten die anschliessende Mineralisierung. Durch diese Knochenbildung werden einige Osteoblasten eingeschlossen und werden nun Osteozyten genannt. Sie bleiben aber über feine Verbindungen mit anderen Knochenzellen verbunden. Die Osteoklasten sind die Knochenabbauzellen. Sie bauen den mineralisierten Knochen durch Bildung von Säuren und eiweissabbauenden Enzymen ab. Nach Abschluss der Wachstumsphase wird bei gleichbleibender Knochenmasse dauernd umgebaut, um so den Knochen den geforderten, wechselnden Belastungen anzupassen und den Körper mit Stoffwechselprodukten zu versorgen.
Beim Knochenumbau sammeln sich Osteoklasten an umbaugeeigneten Knochenstellen an. Dieser Prozess wird Aktivierung genannt. Aktivierung findet dauernd am gesunden Knochen statt. Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenhormone (Parathormon) fördern diese Aktivierung. Nun beginnt ein mehrere Tage dauernder Knochenauflösungsprozess, bei dessen Abschluss die knochenbildenen Osteoblasten angelockt werden. Diese bilden Eiweissfasern, die anschliessend mineralisiert werden, was aber mehrere Monate dauern kann. Aufgrund dieser zeitlichen Abläufe und deren Häufigkeit sind dauernd etwa 10 Prozent der Knochenoberfläche in einen Umbauprozess involviert. Die wichtigsten bis heute bekannten, den Knochenstoffwechsel beeinflussenden Faktoren, sind die Genetik, die mechanische Belastung des Bewegungssystems, die hormonellen Einflüsse und die Ernährung.
In der Folge werde ich einige Faktoren beschreiben.
Genetische Faktoren
Studien zeigen, dass schwarze Menschen weniger an Osteoporose erkranken als weisse Menschen. Schwarze stürzen aber auch weniger (Kanis 1995). Familienuntersuchungen zeigen eine genetisch bedingte familiäre Unterschiedlichkeit in der Knochendichte. Im Alter verwischen sich jedoch diese Unterschiede durch den Einfluss der nicht genetischen Faktoren. Auch Störungen des Knochenwachstums können vererbt werden, wie zum Beispiel die Osteogenesis imperfecta.
Belastung des Bewegungssystems
Dass die Belastung der Gewebe einen wesentlichen Einfluss auf deren Belastbarkeit hat, ist unumstritten. Die relevante Frage ist aber die Art und Dosierung der Belastung. Vor allem muss ein Training ohne Zusatzbelastungen und das Training mit Zusatzbelastungen, wie zum Beispiel beim Krafttraining, unterschieden werden. Beim Geh- und Lauftraining wirkt das eigene Körpergewicht als Belastungsreiz. Studien an Astronauten im schwerelosen Zustand und an bettlägrigen Patienten zeigen, wie schnell sich der Knochen durch Abbauprozesse der verminderten Belastung anpasst. Vor allem Trainingsarten und Betätigungen, die eine positive Auswirkung auf die Muskelmasse haben, zeigen eine positive Beziehung zur Knochendichte. Viele Studien zeigen aber auch, dass ein übermässiges Training zu einem Knochendichteverlust führen kann. Vor allem Leistungssport treibende Mädchen zeigen eine Verzögerung der Östrogenproduktion um bis zu 2 Jahre, mit der Folge einer Abnahme der Knochendichte.
Leider führt die berechtige Angst vor Stürzen oder spontanen Knochenbrüchen bei alten Menschen zu einem übertriebenen Schonverhalten. Es gilt, im Alter einen Mittelweg zwischen Immobilität und übertriebenen Training zu finden. Harrison verglich 1993 die Frakturhäufigkeit und die Rückenschmerzen zwischen einer Gruppe von 36 Osteoporosepatientinnen mit schlechtem und 37 Patienten mit besserem Fitnesszustand. Die gute Fitnessgruppe zeigte nach der Trainingsphase eine Rückenschmerzverbesserung von 32 Punkten gegenüber von 11 Punkten in der Gruppe mit schlechter Fitness. Die schlechtere Fitnessgruppe zeigte 10 Wirbelfrakturen, die gute Gruppe 3 Wirbelkörperfrakturen. Obwohl die Patientengruppen klein sind, zeigt sich doch ein Trend bezüglich der Abhängigkeit der Osteoporosefolgen vom allgemeinen Trainings- oder Fitnesszustand, gemessen an der maximalen Sauerstoffaufnahme.
Hormonelle Faktoren
In den Industriestaaten wird die Osteoporose in den weitaus meisten Fällen auf einen Östrogenmangel zurückgeführt. Der rasche Häufigkeitsanstieg der Osteoporose nach der Menopause verdeutlicht diesen Zusammenhang. Dass ein übertriebener Leistungssport bei jungen Frauen zu einem Ausbleiben des Eisprungs und somit einem Östrogenmangel mit Osteoporoseauswirkung führen kann, wurde bereits erwähnt.
Eine ganze weitere Gruppe von Hormonen wirkt auf den Knochenstoffwechsel. Die hormonellen Wirkungen sind komplex und interaktiv miteinander vernetzt. Sie wirken aber meistens über den Kalziumhaushalt. Wichtige Hormone sind: das Parathormon, das Calcitonin, die Östrogene, die Wachstumshormone, das Somatomedin und Nebennierenrinden- und andere Schilddrüsenhormone.
Die Bedeutung der Östrogene im Knochenstoffwechsel ist die Grundlage für die medikamentöse Prophylaxe und Therapie der Osteoporose durch eine Östrogensubstition. Vitamin D3 wird mit der Nahrung aufgenommen und entsteht auch in der Haut durch den Einfluss von ultravioletter Strahlung. Vitamin D unterliegt einem komplexen biologischen Umbauprozess, und seine Produkte zeigen eine hormonähnliche Wirkung. Seine Sekretion durch die Niere wird unter anderem durch den Kalziumgehalt im Blut gesteuert. In sonnenarmen Zeiten erreicht der Serumspiegel an Vitamin D einen sehr tiefen Wert. In sonnigen Jahreszeiten findet sich dagegen ein hoher Wert. Vor allem die Ernährung hat einen wesentlichen Einfluss auf den Vitamin-D-Gehalt in unserem Körper.
Die Bedeutung der Ernährung
Kann durch fehlendes Sonnenlicht in der Haut nicht genügend Vitamin D gebildet erden, muss es durch die Nahrung aufgenommen werden. Vor allem ältere Menschen, die sich einseitig ernähren und sich wenig dem Sonnenlicht aussetzen, gleiten in einen Vamin-D-Mangelzustand. Das fettlösende Vitamin D kommt vor allem in der Butter, in der Milch und in Fischprodukten vor.
Das wichtigste zur Knochenfestigkeit beitragende Bestandteil der Nahrung ist das Kalzium. Wir benötigen davon täglich etwa 1 Gramm, in der Stillphase mehr. Vor allem Milch und deren Produkte enthalten viel Kalzium. So ist z.B. Käse ein guter Kalziumlieferant. Interessant ist, dass ein hoher Eiweiss- und Kochsalzgehalt, wie bei fleischreicher Nahrung, die Kalziumausscheidung fördert. Spinat, Randen, Rharbarber und Kakao verhindern die Kalziumaufnahme. Wirz, Brokoli und Fenchel sind gute Kalziumlieferanten. Auch Nüsse, Mandeln und Sesam enthalten viel Kalzium. Bei den Mineralwassern schwankt der Kalziumgehalt je nach Herkunft wesentlich. Aus der Sicht der Osteoporoseprophylaxe sollten diese Wasser etwa 40mg/100ml enthalten. Schwarztee, Kaffee, Colagetränke, alkoholische Getränke und Zigarettenkonsum haben einen negativen Einfluss auf den Kalziumhaushalt.
Stellung der Gymnastiklehrerin
Auch bei der Osteoporosearbeit wird die Gymnastiklehrerin mit einer Vielfalt von Anforderungen konfrontiert. Wie immer stellt sich vor der Anwendung der Mittel die Frage nach deren Indikation und deren Ziel. Nach der Förderung der zwischenmenschlichen Beziehung und der Freude an der Bewegung hat die Gymnastik einen grossen Stellenwert in der Primär- sowie Sekundärprävention. Meines Erachtens zielt die gymnastische Arbeit immer auf einen Alltagstransfer der in der Stunde gelernten Inhalte. Wie beschrieben, hängt die Qualität unserer Gewebe und somit auch unserer Knochen von deren Belastung ab. Das Ziel der Gymnastiklehrerin ist das Hinführen der KursteilnehmerInnen zu einer bewegungs- und belastungsreicheren Alltagsgestaltung. Die Wissensvermittlung durch das Erklären der zugrunde liegenden Zusammenhänge fördert die Motivation der Teilnehmerinnen, mit der Zeit ihr Bewegungs- und Ernährungsverhalten zu verändern. Die Kenntnis der hormonellen Einflüsse vermag vielleicht auch Ängste abbauen, um die medikamentöse Therapie gewissenhafter durchzuführen oder den Arzt dahin zu führen die entsprechenden Fragen zu beantworten.
Bezüglich der Bewegung gegen Widerstände bleibt meines Erachtens die Gymnastik oft trainingsunwirksam. Bezüglich der Förderung der Gleichgewichtsreaktionen und der Förderung der allgemeinen Ausdauerleistungsfähigkeit über ein Geschicklichkeitstraining vermag die Gymnastik Hervorragendes zu leisten. Ein wichtiges Ziel ist immer auch die Verringerung der Sturztendenz und das Fördern der korrekten Alltagshaltung. Die Kenntnis der anatomischen Verhältnisse sowie der biomechanischen Gesetzmässigkeiten führt zu einer korrekten ergonomischen Gestaltung der Arbeit und Freizeit.
Wie soll es weitergehen ?
Anlässlich der zweitägigen OsteoFit-Kurse der VdG (jetzt: BGB) werden die theoretischen Grundlagen der Osteoporose-Problematik detailliert besprochen. Die trainingsspezifischen Fragen habe ich im Kapitel "Physikalische Therapie und Bewegungstherapie bei Osteoporose" im Buch "Osteoporose", ein Handbuch im Hippokrates Verlag, erschienen 1998, beschrieben. (Hg.: C. Merlin, Schinznach). Weitere Literatur: "OsteoGym" - Schweizer Rheumaliga oder "Krankengymnastische Behandlung der Osteoporose" von Marina Oldhafer und Co-Autorinnen im Thieme-Verlag. Anschliessen möchte ich noch einmal festhalten, dass die Osteoporose gerade für die Gymnastiklehrerin eine vielfältige Herausforderung darstellt.
Bildnachweis: MSD, Glattbrugg / Der Autor dankt Herrn Hess für die freundliche Überlassung der Illustrationen.