Bartenieff Fundamentals

zusammengestellt von Christel Büche

 
Was sind die Laban-/Bartenieff-Bewegungsstudien ?
Das zentrale Ziel der Laban-Bartenieff-Bewegungsstudien ist es, Bewegung in ihrer Vielschichtigkeit erfassen zu können. Dazu liefern sie uns ein systematisches Vokabular, einen theoretischen Rahmen und ein Notationssystem. Sie bilden eine praxisorientierte Grundlage und wesentliches Handwerkszeug für jegliche Arbeit im pädagogischen, künstlerischen und therapeutischen Bereich. Die Arbeit mit den Bewegungsstudien schafft eine Basis für bewusstes Bewegungserleben und eine gesteigerte Ausdrucksfähigkeit, von der alltäglichen Bewegung bis zum künstlerischen Tanz. Die Bewegungsstudien wurden von Rudolf von Laban initiiert und von vielen Schüler(innen) und Mitarbeiter(innen), in den USA vor allem von Irmgard Bartenieff, weiterentwickelt.
 
Wer war Rudolf von Laban ?
Rudolf von Laban wurde 1879 in Bratislava geboren und starb 1958 in London. Er war Tänzer und Choreograph und beeinflusste nachhaltig die moderne Bewegungsforschung. Viele bedeutende Tanzkünstler waren seine Schüler, wie zum Beispiel Mary Wigman und Kurt Joos. Während des Ersten Weltkrieges traf Rudolf von Laban auf dem Monte Verita in der Schweiz auf namhafte Vertreter unterschiedlicher Kunstrichtungen und Reformphilosophien. Hier entwickelte er mit Gleichgesinnten die neue Tanzwissenschaft.
 
In den 20er Jahren wurden in verschiedenen Ländern Europas Labanschulen eröffnet, Labans Choreographien gezeigt und Bewegungschöre für Laien angeboten. 1937 emigrierte er nach England, wo er seine Bewegungsstudien fortsetzte und bis zu seinem Tod an der Erweiterung und Vertiefung seiner Theorien arbeitete. Laban war sowohl Künstler als auch Wissenschaftler. Sein Lebenswerk war es, die anatomischen, physiologischen und psychologischen Gesetze menschlicher Bewegung zu erforschen und das Fundament zu wissenschaftlicher Bewegungsbeobachtung und -analyse zu legen. Er wollte das Wesen der Bewegung an sich erfassen und die Grundbausteine benennen können, aus denen sich jede Bewegung zusammensetzt. Bei all seinen Studien stand der Prozess der Bewegung im Vordergrund. Diesen wollte er formal und inhaltlich erfassen.
 
Ausserdem entwickelte Laban eine Tanzschrift, die Kinetografie, welche in den USA unter dem Namen Laban-Notation bekannt ist. Es ist das umfassenste System der Bewegungsnotation - viele grosse Werke der Tanzkunst werden in ihm festgehalten. Wichtige Buchveröffentlichungen sind u.a.: "Die Welt des Tänzers", "Die Kunst der Bewegung" und "Choreutika"
 
Wer war Irmgard Bartenieff ?
Die Tänzerin Irmgard Bartenieff ( 1900 - 1981 ) war eine Schülerin von Rudolf von Laban, die in den 20er Jahren bei ihm studierte und 1936 in die USA emigrierte. Dort erlangte sie den Abschluss zur Physiotherapeutin und arbeitete anschliessend mit Poliopatienten in einem New Yorker Krankenhaus. Sie entwickelte aus dem bewegungsanalytischen Ansatz von Laban und ihrer Erfahrung als Tänzerin eine korrektive Körperarbeit, die Bartenieff Fundamentals TM. Seit 1978 gibt es das Laban/Bartenieff Institute of Movement Studies, wo zum Certified Movement Analyst (CMA) ausgebildet wird. Bartenieffs einzige Buchveröffentlichung "Body Movement . Coping with the Environemet", ist kurz vor ihrem Tod erschienen.
 
Die vier Komponenten der Bewegung
Die Laban-/Bartenieff-Bewegungsstudien unterscheiden vier verschiedene Komponenten, die in jeder Bewegung vorhanden sind. Allerdings sind nicht alle Komponenten jederzeit gleich bedeutungsvoll.
 
Die vier Komponenten sind:
1. Raum ( space )
2. Antrieb ( effort )
3. Form ( shape )
4. Körper ( body )
1. Der Raum
"Raum ist ein verborgener Grundzug von Bewegung, und Bewegung ist ein sichtbarer Aspekt des Raums ... Bewegung ist sozusagen lebendige Architektur... Leerer Raum existiert nicht, im Gegenteil, Raum ist eine Überfülle gleichzeitiger Bewegungen ." ( Laban )
Laban untersuchte die Beziehung von Körper und Raum, indem er die Architektur des menschlichen Körpers in Relation zu den räumlichen Strukturen des persönlichen Umraums brachte. Er prägte hierfür den Begriff der Kinesphäre. Die Kinesphäre ist der körpereigene Umraum, den eine Person mit ihren Extremitäten erreichen kann, ohne ihren Standpunkt zu verlassen. Die Nutzung der Kinesphäre ist individuell verschieden und steht in Beziehung zum Umfeld. So mag sich eine Person sehr wohlfühlen bei Bewegungen in der engen Kinesphäre, was eine andere Person als unangenehm und zu eng empfinden könnte. Aber auch diese Person wird sich wahrscheinlich in einer engen Kinesphäre bewegen, wenn sie friert oder sich in einer angstbesetzten Situation befindet, in der sie sich zu schützen versucht. Die "Raumharmonielehre" konkretisierte Laban in unterschiedlichen Bewegungsskalen, die ein-, zwei- und dreidimensionale Bewegungen schulen und unterschiedliche Körper-Raum-Spannungen beschreiben. Dadurch bieten diese Skalen die Möglichkeit, den persönlichen Umraum sehr differenziert zu erfahren. Vergleichbar ist die Raumharmonielehre mit der Harmonielehre in der Musik.
2. Der Antrieb
"Zwischen der inneren Motivation einer Bewegung und dem Körpergeschehen besteht ein fast mathematisches Verhältnis. In das Wissen um diese allgemein gültigen Grundsätze von Impuls und Funktion und ihre praktische Anwendung einzuführen, ist der einzige Weg, die Freiheit und Spontanität der sich bewegenden Person zu fördern ". ( Laban )
Die Antriebslehre beinhaltet die Analyse bewegungsdynamischer Prozesse. Sie befasst sich mit dem inneren Antrieb, der Motivation, die einer Bewegung zugrunde liegt. Laban untersuchte die innere Haltung, die in der Bewegung zum Ausdruck kommt, und unterschied die Bewegungsfaktoren Kraft/Gewicht, Fluss, Raum und Zeit. Die unterschiedliche Einstellung zu jedem Bewegungsfaktor bildet ein Kontinuum zwischen den beiden Extremen "ankämpfend" bis "erspürend". Die dadurch entstehenden acht Elemente des Antriebs ergeben durch verschiedene Kombinationsmöglichkeiten unterschiedliche Intensitäten und durch die Platzierung in der Bewegungsphase die Vielfalt im Ausdruck.Im Antriebsverhalten eines Menschen lassen sich persönliche Präferenzen erkennen, die einerseits mit charakterlichen Eigenschaften zu tun haben, die aber auch situationsbedingt sind.
Nehmen wir zum Beispiel den Faktor Zeit. Auf dem Bahnsteig, 10 Minuten bevor der Zug abfährt, kann man die Zeit bis zur Abfahrt geniessen, was sich in gelassenen Bewegungen ausdrücken wird. Eine andere Person mag unruhig und hektisch hin und her gehen und dadurch ihren inneren Unwillen gegenüber der Wartezeit zum Ausdruck bringen. Ein weiteres Beispiel zum Faktor Kraft/Gewicht : Dieser Antriebsfaktor hat wenig mit dem tatsächlichen Körpergewicht, gemessen in Kilogramm zu tun, sondern vielmehr mit der inneren Einstellung dazu. Wenn man mit Champagnergläsern anstösst oder einem Baby über die Wange streichelt, tut man dies, indem man sein Gewicht aktiv zurücknimmt, um einen gewissen Grad an Leichtigkeit zu erreichen. Zerhackt man dagegen ein Stück Holz, wird man sein ganzes Gewicht voll einsetzen, um kraftvolle Bewegungen auszuüben. Die menschliche Motivation ist so komplex und vielschichtig, dass die einzelnen Antriebsfaktoren selten isoliert auftreten, sondern meistens in Kombinationen zu zweit oder zu dritt. Das Streicheln des Babys mag nicht nur leicht, sondern auch allmählich sein, während das Holzhacken ausser kraftvoll auch noch plötzlich und direkt sein wird.
3. Die Form
"Formen sind eng mit Bewegung verbunden. Jede Bewegung hat ihre Form, und Formen werden gleichzeitig mit und durch Bewegung erschaffen ". ( Laban )
Die Form ist die sichtbare Gestalt eines Inhalts. Die Komponente der Form umfasst zwei unterschiedliche Aspekte : 1.stille Form 2. Prozess des Formens
Die stille Form ergibt sich aus einer angehaltenen Bewegung, der Konstellation der Körperteile zueinander. Laban fand in Alltagsbeobachtungen vier Grundtypen und nannte sie Wand, Nadel, Ball und Schraube. Der Prozess des Formens meint, wie eine Form in eine andere übergeht. Darin spiegelt sich wider, in welcher Art und Weise eine Person Beziehung zu ihrer Umwelt, zu Objekten oder zu anderen Personen aufnimmt. Wenn ich z.B. jemanden in der deutschen Art und Weise des Händeschüttelns "Guten Tag" sage, bewege ich meine Hand zielgerichtet auf diese Person zu. Mein Formungsprozess ändert sich in dem Moment, indem ich die Hand des anderen umgreife (meine Hand um die des anderen herummodeliere). Am Ende nehme ich wieder zielgerichtet meine Hand zurück zu meinem Körper.
4. Der Körper
Diese Komponente umfasst Fragen wie: Welche Körperteile bewegen sich ? Wo wird die Bewegung initiiert ? Welche Muskelgruppen arbeiten zusammen ? Besteht eine Verbundenheit im Körper, die die Bewegung harmonisch und effektiv ausführen lässt? Irmgard Bartenieff entwickelte, aus ihrer Kenntnis der Bewegungsanalyse und dem Wissen als Physiotherapeutin, eine fundamentale Körperarbeit, die "Bartenieff Fundamentals", die alle genannten Aspekte integriert.
Bartenieff Fundamentals TM
Mit den Bartenieff Fundamentals werden elementare Bewegungsabläufe und -prinzipien beschrieben, die durch Erspüren, Bewegen und gegenseitige Hilfestellung erarbeitet werden. Sie basieren auf neurophysiologischen Zusammenhängen und zeichnen sich durch eine den Menschen in seiner Ganzheit erfassenden Arbeitsweise aus. Es wird an der Bewusstwerdung der Bewegungsphase, das heisst des Ansatzes und der Fortentwicklung der Bewegung gearbeitet, so dass die energetisch effektivste Möglichkeit der Bewegung gefunden wird. Voraussetzung für diese Effektivität ist die Unterstützung der Bewegung durch den Atem und die tiefe Muskulatur. Vor allem werden Verbindungen der Extremitäten zum und durch das Körperzentrum gsucht, wobei besonders auf die folgenden Beziehungen eingegangen wird: Fersen-Kreuzbein-Verbindung, Kopf-Steissbein-Verbindung, Unter-Oberkörper-Verbindung, die Beziehung der Körperhälften zueinander, diagonale Verbindungen durch den Körper, entsprechend der ontogenetischen Bewegungsentwicklung.
Ausserdem wird an der Aktivierung des Gewichtszentrums für die vollständige Mobilisierung gearbeitet, sodass der schwerste Teil des Körpers die möglichen Gewichtsverlagerungen und Ebenenwechsel unterstützt. Elemente aus Labans bewegungsanalytischem Ansatz, wie Aspekte aus der Antriebstheorie, der Raumharmonielehre sowie der Formung werden genutzt, um die Bewegungsabläufe ganzheitlich zu begreifen. Bartenieff definierte ausserdem sechs Basisübungen (Basic-six) und weitere Bewegungsabläufe, die zunehmend raumgreifender und dynamischer werden.
Was haben Menschen mit den Laban-Bewegungsstudien gemacht ?
Tänzer/-innen und Choreografen/-innen nutzen sie für ein besseres Verständnis von Stil und Technik, um das Bewegungsvokabular zu erweitern und Bewegungspräreferenzen zu erkennen; Therapeuten/-innen, um nonverbales Verhalten zu erklären und zur Unterstützung der Diagnostik; Fitnesstrainer/-innen, um ihre Stunden so vorzubereiten, dass der gesamte Körper und persönliche Bewegungsmuster berücksichtigt werden; Schauspieler/-innen, um einen Charakter zu kreieren, Ethnologen/-innen, um kulturelle Muster zu beobachten; Lehrer/-innen, um zu aktivieren, zu motivieren und das Lernen und die Kreativität zu fördern.
Laban-Bewegungsstudien wurden sowohl beim Trainieren von Athleten als auch bei der Beratung von Wirtschaftsmanagern und bei der Interpretation von Kommunikationsstilen (vom Politiker bis zum Delphin) angewandt. Besonders für Menschen, die professionell mit Bewegung zu tun haben, sind die Bewegungsstudien von unschätzbarem Wert. Für Bewegungsschulung liefern sie ein klares Konzept, lassen individuelle Stärken und Schwächen erkennen, erweitern das Bewegungsrepertoire und das Bewusstsein.
 
Die Antriebsfaktoren in der Übersicht :
Bewegungsfaktor
Antriebselement
.
.
erspürend
ankämpfend
Kraft/Gewicht
leicht
kraftvoll
Fluss
frei fliessend
gebunden/kontrolliert
Raum
indirekt/multifocus
direkt/ein Focus
Zeit
allmahlich
plötzlich

Zur Person:

Christel Büche ist Dipl. Sozialpädagogin und Tanzsozialtherapeutin. Sie ist ausgebildet in modernem Bühnentanz und erhielt 1993 das Zertifikat als Bewegungsanalytikerin (CMA). Seit 1990 ist sie freiberuflich tätig als Tanz- und Bewegungspädagogin und leitet Fortbildungen in den Bereichen Tanz, Schauspiel, Gymnastik, Gesundheit und Körperarbeit. Sie ist Ausbilderin im Zertifikatsprogramm der Laban-Bartenieff-Bewegungsstudien und in der Weiterbildung zur Tanztherapeutin beim Tanztherapiezentrum Berlin.