Literatursservice Die Atmung
Eric Franklin
 
     
  Die Atmung nimmt eine Schlüsselstellung ein, wenn es darum geht, sich aufzutanken und zu regenerieren. Sie ist ein permanenter, lebensnotweniger Vorgang, welcher uns innigst mit der Luft verbindet. Wir denken kaum daran, dass diese "Verbindung" mit der Luft wichtiger ist als unsere Verbindung zum eigenen Arm: Ohne Arm könnten wir überleben, nicht aber ohne Luft. In gewissem Sinne sind wir dauernd daran, einen Teil unserer Umwelt, nämlich die Luft, in uns aufzunehmen und wieder auszustossen. Damit Sauerstoff in den Blutkreislauf übertreten kann, trifft die Luft in den Lungen auf eine riesige Fläche. Die Atmung ist unsere "innigste Berührung", ein Austausch zwischen unserer Innen- und Aussenwelt. Tausende von Kubikmetern Luft wandern so in unserem Leben durch uns hindurch. Wenn jemand in deiner Nähe raucht, dann schickt er sozusagen über die Luft eine Botschaft direkt in deinen Körper hinein. Rauch beeinflusst im direktesten Sinne die Organe und und somit auch die Zellen anderer Mitmenschen.  
   
  Atmung braucht Raum  
 

Damit wir atmen können, muss sich das Innenvolumen der Lungen vergrössern. Ohne diese Vergrösserung und dem daraus resultierenden Saugeffekt kann keine Luft einströmen. Eine ganze Reihe von Muskeln, Knochen und Organen sorgen in einem komplexen Zusammenspiel auf dem Niveau der Berliner Philharmoniker für diese dreisimensionale Ausdehnung.

Das Zwerchfell rühmt sich zu recht mit dem Titel des wichtigsten Atemmuskels und unter den Knochen nehmen die Rippen eine Schlüsselstellung ein. Es folgt eine vereinfachte Darstellung des Atemvorgangs: das Zwerchfell ist eine doppelte Kuppel, welche den Brustraum vom Bauchraum trennt. Beim Einatmen senkt sich diese Kuppel und zieht die luftdicht eingepackten Lungen mit sich. Dies ist die Kontraktionsphase des Zwerchfells, das Dach der Kuppel wird durch die Muskelfasern nach unten gezogen, das Zwerchfell liegt auf der Leber und dem Magen, so dass die Atmung eine direkte Massage für diese Organe und eine direkte für alle anderen darstellt. Der Bauch weitet sich, um die Organe zu empfangen, sogar der Beckenboden tut seinen Teil und dehnt sich seinen Möglichkeiten entsprechend. Bauch- und Beckenbodenmuskulatur spielen zusammen, sie sind die spannungsmässigen Kontrahenten des Zwerchfells. Die Wirbelsäule verlängert sich bei der Einatmung und hilft so ebenfalls, den Atemraum zu vergrössern - eine rhythmische Dehntherapie für die Wirbelsäule. Bisher haben wir schon einige solcher "eingebauter Therapien" entdeckt. Die Rippen weiten sich zur Seite, nach vorne, nach hinten und auch nach oben aus und sorgen für eine zusätzliche Ausdehnung der Lungen. Oft dehnen wir den Brustkorb beim Atmen vor allem nach vorne, dadurch wird aber das Hohlkreuz gefördert. Es ist deshalb wichtig, die Ausdehnung der Rippen als dreidimensionales Ereignis zu empfinden.

 
Die oberen Lungenwipfel ragen bis in den Schulterbereich hinein. Bei der Einatmung versuchen sie, sich an der obersten Rippe vorbei etwas nach oben zu dehnen (Fig.1). Keine Körperstelle ist unwichtig, wenn es um eine vollständige Atmung geht. Leider ist hier der Weg oft durch verspannte und eingefallene Schultern versperrt. Ich möchte hervorheben, dass eine tiefe Atmung nicht alleine durch die Bauchatmung, sondern durch die Beweglichkeit aller an der Atmung beteiligten Strukturen zustande kommt. Unser Ziel ist, einen elastischen "Behälter" für die Lungen zu kreieren, in welchem alle Ausdehnungsmöglichkeiten vorhanden sind.  
     
 

Beim Ausatmen steigt die Kuppel des Zwerchfells wieder nach oben. Damit dies möglich ist, müssen sich die Muskelfasern verlängern. Ich habe festgestellt, dass dieses Ereignis für viele Menschen schwierig nachzuvollziehen ist. Wieso schwebt die Kuppel nach oben, wenn sich das Zwerchfell entspannt? Das Zwerchfell hat beträchtliche Rückendeckung: Die Bauchmuskeln und den Beckenboden. Es ist dies die aktive Phase der Bauchmuskeln und des Beckenbodens. Diese kontrahieren und schieben die Organe wieder auf der Rückenrutschbahn nach oben in das Zwerchfell hinein. Das Zwerchfell wird wie die Stoffkuppel eines Heissluftballons im Steigflug nach oben gedrückt.

Das Anspannen der Bauchmuskeln als Haltungs- oder Schlankheitstherapie hat deshalb grosse Nachteile: Die Atmung ist blockiert. Will man nämlich wieder einatmen, müssen die Bauchmuskeln und der Beckenboden loslassen. Dies ist aber bei künstlicher Anspannung nicht möglich, es entsteht eine permanente inspiratorische ( nicht zu verwechseln mit konspiratorische) Verspannung des Zwerchfells, in der viele Menschen einen grossen Teil ihres Lebens verbringen. Ein Zustand, in dem die Welt nie sehr freundlich aussieht ( man kann nicht loslassen, alles ist gegen einen, sogar das eigene Zwerchfell). Stress und Rückenschmerzen sind die naturgegebenen Folgen. Die Rippen verharren in ihrer angehobenen Stellung, können nicht richtig zur Körperachse zurückfallen, der Rücken wird blockiert.

 
     
Anti-Experiment: Blockade der Bauchmuskeln    
  In dieser Übung erleben wir die Wirkung der Bauchmuskeln auf die Atmung. Ziehen Sie Ihren Bauch ein, machen Sie eine schlanke Taille. Versuchen Sie nun, tief einzuatmen. Wir merken, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist: Tiefe, entspannte Atmung und eingezogener Bauch. Fazit: Das beste Training für die Bauchmuskeln ist die lockere Atmung, denn damit werden bei jedem Atemzug die Bauchmuskeln vollständig durchtrainiert.  
     
Übung: Die Zwerchfellbewegung    
  Im Sitzen: Das Zwerchfell bewegt sich bei Einatmung nach unten, derweil die Rippen sich weiten. Damit dies besser geschehen kann, stellen wir uns vor, dass das Zwerchfell beim Einatmen nach unten schwebt, wie ein Seidentuch ( siehe Fig. 2). Dieses Tuch fällt in unserer Vorstellung möglichst locker nach unten und legt sich sanft auf die Bauchorgane. Beim Ausatmen wird das Tuch mit Hilfe der Organe wieder nach oben getragen.  
  Um die Ausatmung zu vertiefen, stellen wir uns vor, wie sich die Fasern des Zwerchfells verlängern. Wir legen die Hände beidseitig auf die unteren Rippen. Beim Ausatmen stellen wir uns vor, wie sich die Zwerchfellkuppel möglichst weit nach oben bewegt und sich dabei von unseren Händen, die mit den Rippen zur Körpermitte hin wandern, entfernt. Sehr wichtig ist es, bei dieser Übung ganz normal zu atmen und keine besonderen Anstrengungen zur "tieferen" Atmung zu unternehmen.  
     
Übung: Die Rippenbewegung    
  Wir setzen uns so hin, dass wir auf unseren knöcheren Sitzbeinhöckern balancieren und nicht mit dem Rücken am Stuhl anlehnen. Nun berühren wir unser Brustbein und gleiten mit unseren Fingern zum unteren Ende desselben. Diese Stelle wird der "Schwertfortsatz" des Brustbeines genannt. Er sollte locker sein, um eine tiefe Atmung zu erzielen, also nicht steif wie ein Schwert, sondern eher elastisch - wie Gummi. Wir fahren mit den Fingern beider Hände den absteigenden Rippenrändern entlang nach hinten. Mit unseren Fingern vermitteln wir dem Rippenrand ein federnd weiches Gefühl.  
  Wir stellen uns vor, dass die Rippen beim Einatmen wie eine Faltenschürze nach aussen schwingen. Wir sehen, wie die Falten sich weiten. Beim Ausatmen lassen wir die Faltenschürze wieder zur Körpermitte zurückfallen. Die Rippen schwingen wie weicher Stoff möglichst nach aussen und nach innen ( siehe Fig.3).
Damit der Schwertfortsatz beweglicher wird, stellen wir uns vor, dass er wie ein Fahnenwipfel beim Einatmen vor- und beim Ausatmen nach rückwärts pendelt --->  
Die Atmung findet in den Zellen statt
   
  Die Lunge ist in gewissem Sinne nur Mittel zum Zweck. Die eigentliche Atmung findet in den Zellen statt. Hier wird der Sauerstoff, welcher auf komplexe Weise in den Körper "getrickst" wurde, erst verwertet. Eine Zelle, welche nicht atmen kann, stirbt. In diesem Sinne findet die Atmung im ganzen Körper, nicht nur in den Lungen statt, und wir versuchen, dies nun mit verschiedenen Übungen wahrzunehmen.  
     
Übung: Die Ganzkörperatmung    
 

In der KR mit den Armen seitlich am Boden beobachten wir unsere Atmung. Wo in unserem Körper spüren wir unsere Atmung? Spüren wir sie im Brustkorb? Im Bauch? Vielleicht in den Schultern? In der Wirbelsäule? Etwa in den Armen und Beinen? Wie bewegt die Atmung unseren Körper?

Wir stellen uns vor, dass wir unsere Atmung in den rechten Arm hineinlenken können. Der rechte Arm ist geräumig, wie das Innenvolumen eines Ballons. Wir atmen hinein bis in die Fingerspitzen und wieder aus dem ganzen Arm heraus. Nun ist es so, als würde der Wunsch nach Atmung vom rechten Arm her kommen. Wir atmen, weil der rechte Arm atmen will.

Nach einigen Minuten blicken wir mit unserem inneren Auge zum linken Arm hin. Wie fühlt sich der linke Arm im Vergleich zum eben "beatmeten" rechten Arm an? Schwerer? Leichter? Grösser? Kleiner?

Nun atmen wir in den linken Arm hinein. Es ist fast so, als könnte der linke Arm atmen, als würde der linke Arm ein- und ausatmen, als käme der Wunsch nach Luft vom linken Arm.

Wir wiederholen denselben Prozess mit dem rechten und linken Bein.

Nun stellen wir uns vor, dass der ganze Körper atmet. Wir erleben die Atmung als ein Ereignis, welches vom ganzen Körper ausgelöst wird, fast so, als wären wir eine einzige riesengrosse Lunge. Vielleicht gibt es Stellen, die noch "atemlos" sind. Wir stören uns nicht daran, vielleicht findet der Atem beim nächsten Üben den Weg dorthin.

Wir stehen langsam auf, gehen etwas im Raum umher und versuchen dabei, die Atmung immer noch im ganzen Körper zu erleben. Vielleicht können wir sogar irgendeine einfache Arbeit ausführen und die Atmung im ganzen Körper spüren. Wir versuchen, den Augenblick abzupassen, indem wir beginnen, die Atmung nur noch lokal und eingeschränkt zu spüren.

 
     
Übung: Die Zellatmung    
 

Wir legen uns in die KR und beobachten unsere Atmung. Wir lassen die Atmung geschehen, wir sind sympatische BeobachterInnen, welche nicht in dieses Geschehen eingreifen.

Wir spüren unsere Lungen, die eine mehrere Quadratmeter grosse Innenfläche haben. Wir stellen uns vor, dass diese gesamte Innenfläche fähig ist, Sauerstoff aufzunehmen. Auch hier herrscht Gelassenheit, der Sauerstoff tritt ohne jegliche Anstrengung in unser Blut über.

Wir beobachten unsere Haut. Auch unsere Hautoberfläche ist mehrere Quadratmeter gross. Wir stellen uns vor, dass die Haut ein riesiges Atemorgan ist, wir können mit der ganzen Haut, mit jeder Pore atmen. Wir spüren, wie wir von Luft umhüllt sind, einer unendlichen Reserve an Sauerstoff.

Wir entsinnen uns, dass die Zellen des Körpers von einer Haut, der Zellmembran umgeben sind. Auch diese Haut atmet. Unser Körper ist eine Gemeinschaft atmender Zellen. Die Zellen atmen mit derselben Gelassenheit wie die Lungen. Der Sauerstoff wird zugeführt, die Zellen atmen ein, die Zellen atmen aus.

Wir beginnen uns vorzustellen, dass unsere Zellen im gleichen Rhythmus wie unsere Lungen atmen. Es ist fast so, wären die Zellen Abertausende von kleinen, atmenden Lungen. Wir stellen fest, wo in unserem Körper es für uns einfacher ist, die Zellatmung zu visualisieren und wo es für uns schwieriger ist.

Entdecken wir eine verkrampfte Stelle in unserem Körper, lenken wir unsere Aufmerksamkeit dorthin. Wir stellen uns vor, wie die Zellen in diesem Bereich ein- und ausatmen. Wir vergessen dabei nicht, entspannt auszuatmen. Wir kehren zur Ganzkörperatmung zurück und spüren den Atemrhythmus unserer einzelnen Zellen gleich wie den Atemrhythmus unserer Lungen. Wir lassen uns viel Zeit, um aus dieser Erfahrung aufzuwachen und wieder aufzustehen. Können wir die Zellatmung auch im Stehen spüren?

 
     
Experiment: Die roten Blutkörperchen    
  Von den roten Blutkörperchen hängt es ab, wie gut der Körper mit Sauerstoff versorgt wird. Sie sehen aus wie Teller mit einem sehr breiten, runden Rand. Wir stellen uns vor, dass die Blutkörperchen ohne jede Anstrengung den Sauerstoff in die Lungen aufnehmen und locker im Blut schwebend ihre kostbare Fracht zu allen Zellen hinbringen. Wir sind uns gewiss, dass keine Zelle ausgelassen wird. Es wird viel Sauerstoff verteilt, in alle Winkel des Körpers. Wenn wir das Gefühl haben, dass eine Stelle unseres Körpers vernachlässigt wird oder etwas verkrampft wirkt, schicken wir dort besonders viele rote Blutkörperchen hin. Diese flitzen und taumeln spielerisch durch unsere Arterien, sie führen ihre Arbeit mit Elan aus, kein noch so verzweigtes Haargefäss ist ihnen zu eng, keine noch so weit entfernte Stelle zu unwichtig.  
     
 
Lachen als Atemtherapie
 
  Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass das Lachen eine der besten Atemtherapien darstellt. Lachen lockert die Atemmuskulatur und kräftigt das Gewebe auf natürliche Weise. Das Lachen ist ein wichtiger Bestandteil meiner Kurse, obwohl ich immer wieder das Gefühl bekomme, dass es für viele Teilnehmer schwer zu akzeptieren ist, dass so etwas Selbstverständliches eine äusserst wirksame Therapie sein kann. Die Frage schwebt im Raum: Wann kommen wir endlich zu den "richtigen" Atemübungen? Manche denken wohl, dass man nur mit ernster Miene auch konkrete Resultate erzielen kann. Doch das Gegenteil trifft zu: Wenn man zu verbissen übt, verkrampft man im selbst auferlegten Erwartungsdruck. Lachen heisst nicht, dass Präzision verloren geht!  
     
Experiment: Die Atmung bewegt    
  Wir stellen uns vor, dass die Atmung unsere Bewegungen auslöst. Wir atmen ein, strecken den Arm nach vorne und lassen ihn auf dieser Einatmungswelle reiten. Wir atmen aus, der Arm sinkt nach unten. Wir atmen ein. Wir atmen aus und lassen unseren Oberkörper sinken. Der Oberkörper schwebt auf der nächsten Einatmung wieder nach oben. Was passiert mit meinen Bewegungen, wenn ich die Atmung anhalte? Wie kann ich meine Bewegungen mit Atmung unterstützen?  
     
 
Atmung und Tanz
 
 

Meine Erfahrungen beim Unterricht in der Schweiz, aber auch in den USA und in Asien haben gezeigt, dass TänzerInnen immer noch grosse Schwierigkeiten mit der Atmung haben. Eines der Probleme stellt die im Tanztraining noch stark verbreitete Forderung dar, den Bauch einzuziehen, ja "an der Wirbelsäule zu kleben", wie man mir manchmal eindringlich erklärte. Nach unserer obigen Besprechung der Atmung wissen wir, dass wir auf diese Weise das Atemgeschehen stören. Das wichtigste Training für die Bauchmuskeln ist die freie Atmung, weil dadurch die Bauchmuskeln 24 Stunden lang gedehnt und gekräftigt werden. Je tiefer die Atmung umso intensiver dieses Training. Die Organe werden dauernd durch die Atmungsbewegung massiert. Durch das Einziehen des Bauches fehlt diese Wirkung, die Spannung der Organe sinkt, das von den Tänzern so verhasste trotz aller Bauchmuskelübungen nicht verschwindende "Bäuchlein" ist die Folge. So erreicht man durch das Halten der Bauchmuskeln das Gegenteil von dem was man will: Eine angespannte Atmung und niedrige Muskel- und Organspannung.

Eine andere Begründung für das Anspannen der Bauchmuskeln ist die Beckenaufrichtung, die man auf diese Weise sicher in gewissem Masse erreichen kann. Ich erkläre jeweils den TänzerInnen, dass wir wohl eine Fehlkonstruktion wären, wenn wir die Atmung verringern müssten, um die Haltung zu verbessern. Diese Bemerkung macht auch bei skeptischen Kursteilnehmern meist genug Eindruck, dass sie gewillt sind, andere Strategien zum Korrigieren der Beckenhaltung auszuprobieren. Ich beginne jeweils mit der aktiven Dehnung der Hüftbeuger und allen voran des Lendenmuskels, welcher bei vielen TänzerInnen verkürzt ist, was auch zu Rücken- und Hüftgelenkschmerzen führen kann. Als nächster Schritt kräftige ich den kleinen Lendenmuskel, welcher elegant die Vorderseite des Beckens mit der Wirbelsäule (bis zum 12.Brustwirbel) verbindet. Dieser Muskel verläuft hinter den Organen, sodass seine Anspannung die Atmung nicht stört. Schon Mabel Todd schrieb 1937 in ihrem bahnbrechenden Buch "The Thinking Body (der denkende Körper) über die Bedeutung des Lendenmuskels für die Beckenstellung.

Die Guangdong Modern Dance Company, die erste moderne Tanztruppe Chinas, mit der ich das Glück hatte zu arbeiten, hat eine ausgezeichnete Technik. Ihr Tanz sah aber nicht "modern" im westlichen Sinne aus, und hatte einen kampfsportlichen Anstrich. Diese Company war fasziniert von den Möglichkeiten des wissenschaftlich fundierten Tanztrainings. Es schien mir, dass in China die Devise herrschte: Wer das Training ohne Verletzung überlebt, wird zum professionellen Tänzer. Offenbar hatten die Lehrer an der Akademie bemerkt, dass dabei viel Talent auf der Strecke blieb. Das war der Grund für meine offizielle Einladung, überreicht von einer chinesischen Delegation am American Dance Festival in den USA, wo ich schon seit Jahren tanzmedizinisch tätig bin.

Im modernen Tanz ist das Gefühl für das eigene Körpergewicht, welches einen besseren Kontakt zum Boden, und ein intensiveres Raumerlebnis ermöglicht, von grosser Bedeutung. Ich glaube, dass eine gelöste, empfundene Atmung eine Voraussetzung für diese Erfahrungen ist. Ein grosser Teil meiner Arbeit in China wurde deshalb zur Atemarbeit, und ich zeigte den chinesischen Tänzern die traditionellen westlichen Ideen von Doris Humphrey über Atmung und Gewicht, aber auch Konzepte aus der tänzerischen Biomechanik und den Körpertherapien Ideokinese, Body Mind Centering und Releasing. Mein Ziel war nicht den chinesischen Stil zu ändern, sondern durch neue Bewegungsqualitäten zu ergänzen und auch die Verletzungsanfälligkeit zu verringern.

"Wer tief atmet, dem lösen sich alle Sorgen in Luft auf!"